Kapitel 8
Ein
Turm, zwei Städte und drei Meinungen . . .
oder 5 Tage aus der Schuttbahnplanung
Die 900-mm-Schuttbahn soll gebaut werden, aber ausgerechnet die Stadtmauer stellt sich missliebig in die Quere und verhindert, dass Züge aus der Altstadt
hinaus kommen. Kein Problem, in einer zu 90 % zerstörten Stadt kommt es darauf nun wirklich nicht mehr an - könnte man meinen. Aber wir sind hier in
Deutschland und hier gibt es den Denkmalschutz.
Stellvertretend für viele der zu lösenden Probleme, hier die Korrespondenz,
damit die Züge durch die Hübnertor-Bastion fahren durften. Das ging nämlich
nicht nur zwischen Nürnberg und München (Landesamtes für Denkmalpflege) hin und
her, sondern auch die Interessen zwischen den Referaten II und VIII der Stadt
Nürnberg lagen unterschiedlich. Hier die Korrespondenzen von 5 spannenden
Tagen, in der Planungsphase der Schuttbahn.
Wir beginnen mit dem 15. 8. 1947
Telefonische Durchsage von HRB
Landesamtes für Denkmalpflege für die
Abtragung der Bastei am Hübnersturm eintreffen sollte, ist
folgendes zu berücksichtigen: Die Bastei ist vorher genauestens
fotografisch aufnehmen zu lassen. (wurde bei Bildstelle bereits
veranlasst). Ich bitte aber, sich zu vergewissern, das die Aufnahmen
stattgefunden haben.- zu geschehen. Die Steine sind planmäßig
festzulegen, zu nummerieren und sorgfältig abzutragen und seitlich
zu lagern. Die gelagerten Steine sind gegen Witterungseinflüsse abzudecken.
Wellblech ist nach Mitteilung von HRB vorhanden.- wurde, spricht jeder Denkmalpflegerischen
Behandlung Hohn und kann keinesfalls infrage kommen.- Am 15.August 1947 Ref. II,1 gez. Seegy |
Quelle:
Stadtarchiv Nürnberg, Tiefbauamt Akte C20-VIII Nr. 1
Zu I. in Anbetracht der Dringlichkeit der
Situation nicht abwarten. (s. Bericht des Landesamtes für
Denkmalpflege vom 18.8.47) II. HRB zur Beachtung
der entsprechenden Schutzmaßnahmen Ref.
II/VIII gez. K. Schönleben |
Quelle:
Stadtarchiv Nürnberg, Tiefbauamt Akte C20-VIII Nr. 1
Aber gut, Schreiben sollte
man München vielleicht trotzdem, also die mal von der Dringlichkeit
überzeugen. Also an die Schreibmaschine (die in diesem Fall offenbar kein ß
mehr konnte, während alle Umlaute noch gingen):
HRB – Le/Hi I. abhängig
vom Bau einer leistungsfähigen Hauptabfuhrbahn, die aus der
Stadtmitte in die Peripherie hinausführt. Die Altstadt ist um- schlossen
durch den sehr verkehrsreichen Ring. In Anbetracht der jahrelang
erforderlichen Räumtätigkeiten (8-10 Jahre) ist eine strassengleiche
Kreuzung der Schuttbahn mit der nach Norden führen- den
Hauptausfallsstraße am Ring als nicht tragbar zu bezeichnen, umsomehr
als an der Stelle der Steubenbrücke die Möglichkeit einer Unterführung
besteht. Dies bedingt allerdings einen Eingriff am Hübnersturm
und der anschliessenden Umwallung. Die
Pegnitzüberbauung zwischen ihm und dem am südlichen Pegnitzufer befindlichen
Kasemattentor ist eingestürzt. Die Westseite des Hübnersturm
ist gleichfalls Anfang diesen Jahres eingestürzt, die restlichen
drei Wände sind im Gefüge voneinander derart stark ge- lockert,
dass deren Bestand nicht gewährleistet ist. Für die Strecken- führung
der Schuttbahn war eine Unterfahrung des Hübnersturms vor- gesehen.
Der vorstehend geschilderte, stark beschädigte Zustand des Turmes
liess jedoch dessen Abtragung für zweckmässig erscheinen. In
der Wallmauer muss eine Öffnung geschaffen werden für das er- forderliche
Lichtraumprofil der Bahn von 3,40 m. Die Steine werden gekennzeichnet
und für die spätere Schliessung dieser Öffnung ent- sprechend
verwahrt. Vorschlag,
den Hübnersturm an der Westseite durch eine entsprechende Brückenanlage
zu umgehen, ist nicht durchführbar, da bei Hochwasser gerade
an dieser Stelle ein ganz besonderer Engpass besteht, der nicht
noch weiter behindert werden darf. Jede Art von Brückenkon- struktion
würde zur Ursache für gefährliche Anstauungen darstellen, die
besonders mit Rücksicht auf den erforderlichen langjährigen Be- stand
ein zu hohes Risiko bedeutet. gende
Massnahme dar. Unter Berücksichtigung aller Gegebenheiten wur- de
deshalb der einzig gangbare Weg gewählt und zwar durch Schaffung einer
Durchfahrt in der oben erwähnten Wallmauer am Hübnersturm. Wir
bringen diese Massnahme zu Ihrer Kenntnis und teilen Ihnen gleich- zeitig
die Absicht der Stadtverwaltung mit, diese Durchfahrtslücke in der
Wallmauer nach Beendigung der Schutträumung wieder in den alten Zustand
zurückzuversetzen. Am 18.
August 1947 H o c h b a u
a m t Abt. Räumung und Baustoffgewinnung |
Quelle:
Stadtarchiv Nürnberg, Tiefbauamt Akte C20-VIII Nr. 1
Aber noch waren nicht mal die Meinungsverschiedenheiten zwischen den
verschiedenen Referaten der Stadt ausgefochten.
vom 20.08.1947 Einverständnis des
Landesamtes für Denkmalpflege für die Abtragung
der Bastei am Hübnersturm ein- treffen sollte “
äusserten Sie sich, das dieser Satz falsch sei,
da Sie das Einverständnis des Landes- amtes für
Denkmalpflege nicht abwarten wollten, son- dern schon
unterdessen Auftrag zum Abtragen der Bastion geben wollten. Ich
äußerte darauf, dass das auf Ihre eigene
Verantwortung ginge. nieder, weil nach
meiner Auffassung das Hochbaureferat nicht befugt ist,
einen derartigen Eingriff in die Substanz noch
bestehender historischer Bauwerke ohne vorheriges
Einverständnis des Landesamtes für Denkmal- pflege zu machen.
Auch als Mitglied des Komitees für Denkmäler, Kunst,
Bibliotheken und Archive erhebe ich wiederholt gegen
diese Sachbehandlung Einspruch [...] |
Quelle:
Stadtarchiv Nürnberg, Tiefbauamt Akte C20-VIII Nr. 1
Anlässlich einer
Fahrt nach Würzburg kamen am 21.8.47 die Herren des Landesamtes für
Denkmalpflege, München – Herr Direktor Lill, Professor
Schmuderer, Dr. Ritz – beim Hochbauamt vorbei, um sich persönlich über
die Abbrucharbeiten am Hübnerstor zu informieren. Mit Rücksicht auf
die Tatsache, dass keine kreuzungsfreie Schutt- abfuhr aus der
Altstadt an anderer Stelle möglich ist, gaben die Herren zu der
vorgesehenen Maßnahme ich Einverständnis unter der Bedingung, das die
Steine der Bastei, wie beabsichtigt, nummeriert und seitlich gelagert würden.
Die Stadt müsse sich verpflichten, nach Beendigung der Schuttaktion diese Öffnung wieder zu
schliessen. |
Quelle:
Stadtarchiv Nürnberg, Tiefbauamt Akte C20-VIII Nr. 1
Es scheint tatsächlich etwas dran zu sein an der Aussage,
das vollendete Tatsachen am Besten gegen den Denkmalschutz helfen . . .
Der Mollbagger am Werk, um den Durchbruch zu schaffen, Quelle:
Stadtarchiv Nürnberg, A 39/III Nr. Fi-L-38 Foto: Hochbauamt, Körper
7. Kapitel: Bildteil 900 mm -
Die Altstadt bis Prinzregentenufer
9. Die 900-mm-Bahnen im Bilde
- Außerhalb der Altstadt
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