Kapitel 3

Von den kleinen und größeren Menschlichkeiten


14. Juni 1946 wurde die Pflichtarbeit eingeführt, doch längst nicht jeder war sofort bereit, den Anordnungen nach zu kommen, das zeigt vertretungsweise ein Schriftwechsel, von jemanden, der sich damals mit der Stadt ein wenig zu sehr anlegte [den Namen habe ich aus Datenschutzgründen entfernt]. Die Schreiben regen aus heutiger Sicht durchaus zum Schmunzeln an, vor allem die Art, wie man das wörtliche Zitat der Beschimpfung durch A. zu umschiffen versuchte. Gegenspieler sind in diesem Fall ein Herr A. und sein Sohn Franz und auf der anderen Seite das Amt für Baustoffe und Räumung:

      Betrifft: A[...], Marloffsteinerstr. [...]

 

I.    Am 26. Juni hat der Vater des zur Arbeitsaufnahme zum 28. VI.

      46 aufgeforderten Franz A[...] beim Hochbauamt vorgesprochen

      und unter beleidigenden Äußerungen am 26. Juni 2 Beamten des

      Hochbauamtes (Herrn Machnitsch von HBW/R und Herrn Emilius

      von HBW/A) erklärt, sein Sohn werde nie zum Arbeitseinsatz

      kommen, selbst dann nicht, wenn er einen Prozeß führen

      müsse.

      Den beiden Beamten gegenüber hat er das bekannte Zitat des

      Götz von Berlichingen angewandt.

 

      Bei der gestrigen Dezernenten-Besprechung wurde auch beschlos-

      sen, die Wohnungsverhältnisse des Herrn A[...] nachzuprüfen

      und so dicht zu belegen, als wie es nach den derzeitigen Be-

      stimmungen nur möglich ist.

 

      Durchschlag meines Briefes an Herrn A[...] vom 6. Juli 1946

      liegt an.

 

II.   Herrn Dez. VIII mit der Bitte um Weiterung

 

 

                  Am 6. Juli 1946

                D e z e r n a t  II

 

Quelle: Stadtarchiv Nürnberg, Tiefbauamt Akte C20-VIII Nr. 1

In diesem Zusammenhang ist sehr interessant, wie das Fehlverhalten an einer Stelle zu Maßnahmen auch weiterer Behörden führte - zwar durchaus völlig zurecht, aber dennoch erstaunt es, eine derartige "Racheaktion" der Verwaltung so deutlich dokumentiert vorzufinden. Aber man hatte sogar noch ein weiteres Ass im Ärmel, wie der erwähnte beigefügte Brief an Herrn A. zeigt:

              xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx

              xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx

 

 

Herrn

 

A[...]

 

 

 

 

                                                  6. Juli 1946

 

 

Betrifft: Einsatz zur Pflichtarbeit.

 

 

          Sie haben am 26. Juni beim Hochbauamt vorgesprochen

und ohne Angabe eines Grundes erklärt, ihr Sohn werde nie zum Arbeitseinsatz kommen, selbst dann nicht, wenn Sie einen Prozeß führen müssen. Außerdem haben Sie gegenüber 2 Herren des Hochbauamtes, Herrn Machnitsch und Herrn Emilius, durch Anwendung des bekannten Götz’schen Zitates sich unflätig geäußert. In dieser Haltung wird eine Beamtenbeleidigung er-

blickt.

 

 

           Aufgrund eines Beschlusses der Dezernenten-Besprechung

vom 5. VII. 46 ist nun folgendes veranlasst worden:

Die zuständige Kartenstelle ist verständigt worden, das Ihrem Sohn, Franz A[...], die Lebensmittelkarten für die nächste und die kommenden Perioden vorenthalten wird, so lange bis er vom Hochbauamt, Abtlg. Schutträumung, einen Ausweis über Erfüllung seiner Pflichtarbeit vorlegt.

Außerdem wurde der Polizeidirektion eine Meldung erstattet wegen 

Beamtenbeleidigung

 

 

 

                    In Vertretung

 

 

 

                   Dr. Erdmannsdorfer

Quelle: Stadtarchiv Nürnberg, Tiefbauamt Akte C20-VIII Nr. 1

Letztlich gab es dann ein Einlenken, plötzlich ging es nicht mehr generell darum, dass der Sohn des Herr A. keine Pflichtarbeit mehr leiste, sondern nur noch um das Wann. Die Akten vermerken: "Von der Weiterung ist abzusehen."
Aber in anders gelagerten Fällen konnte sich in den Ämtern auch durch sehr menschlich zeigen, so hat sich folgender Schnipsel erhalten, wie mit einem Konzertpianisten, der zur Pflichtarbeit verpflichtet war, umzugehen sei:

Rücksprache mit Schutträumung bezw. Emilius, dass der

Mann evtl. eingesetzt wird für eine verwaltungsmässige

Arbeit, in der Schutträumung, damit er durch die Schutträumung nicht die Finger verdirbt, was ihm hinderlich wäre in der Ausübung seines Berufes.

Quelle: Stadtarchiv Nürnberg, Tiefbauamt Akte C20-VIII Nr. 1



Das nächste Fundstück jener Tage, zeigt, wie die Schutträumung auch Parteien nützlich werden konnte. Kurz zuvor fand ein Parteitag der SPD in Nürnberg statt, und am 23. 07. 1947 versendet die SPD folgendes Schreiben:

Sehr geehrter Herr Stadtrat,

 

Während des Parteitags ist Gästen aufgefallen, das in Nürnberg die Bauarbeiten gut vorwärtsgekommen sind. Bei einer Besprechung in Nürnberg wurde von dem verantwortlichen Mann unserer Partei-Presse-Korrespondenz, Herrn Pfefferkorn, die Anregung gegeben, eine Zusammenfassung der bisher geleisteten Arbeit auf dem Gebiete des Wohnungsbaus, des Wiederaufbaus von Gebäuden, Schutträumung usw. in der öffentlichkeit durch die Presse bekannt zu machen. Es wurde gebeten, mich an Sie zu wenden, um entsprechende Unterlagen dafür zu bekommen. Man möchte dabei herausstellen, daß in einer hauptsächlich von Sozialdemokraten geleiteten Stadt, der Wiederaufbau verhältnissmäßig rasch vorwärts geht. [...]

Quelle: Stadtarchiv Nürnberg, Tiefbauamt Akte C20-VIII Nr. 1

 

Nicht zuletzt zeigt ein Schreiben, dass die in der Bevölkerung auch heute noch bekannte Erwartungshaltung, wie Gelder in Bayern verteilt werden, durchaus auch von der Verwaltung so gesehen wurde. Karl Schönleben schrieb in einem Schreiben an das Arbeitsamt auszugsweise:

Zu Abs. I Ihres Schreibens möchte ich bemerken,

daß sich Nürnberg nicht leisten kann, was sich

München leistet. München sitzt an der Quelle und

hat, wie dies auch amtlich bekannt ist, viele

Vorzüge. Ferner möchte ich darauf hinweisen, daß

München nicht einmal 20 %, Nürnberg dagegen 50 %

total zerstört ist.

Quelle: Stadtarchiv Nürnberg, Tiefbauamt Akte C20-VIII Nr. 1

 

Wenn das selbst die Stadtverwaltung so sieht, wer wollte es heute den Bürgern verübeln? Nach diesem kleinen Ausflug zum Schmunzeln kehren wir aber wieder zur Spurensuche zurück. Während die spätere Hauptabfuhrbahn zumindest ab neuer Gasse bis Fischbach sich fast lückenlos nachvollziehen lässt, können von den 600-mm-Strecken erst mal nur Zwangspunkte festgemacht werden. Diese Zwangspunkte sind z. B. Kreuzungen mit anderen Schienenstrecken. Darauf werfen wir als nächstes den Blick.

2. Kapitel: Trümmerräumung während des Krieges

4. Kreuzungsvereinbarungen

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